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Klein, aber oho – ein Schweinchen erzählt (Teil 5)

„Wer schießt?“ Mit dieser Frage wird meistens die Aufgabenverteilung innerhalb des Teams eingeleitet.
Für mich als “pöötie“ ist die Beobachtung der Tireure und Tireurinnen immer ein wahres Fest, denn die meisten von ihnen haben wirklich bemerkenswerte, ungewöhnliche und sehr individuelle Rituale und Angewohnheiten.

In vielen Partien beobachte ich, wie die Tireur*innen hochkonzentriert im Abwurfkreis stehen. Manche wenden offensichtlich die bei der Atemtherapie erlernte Atemtechnik an, andere berechnen innerlich unter Berücksichtigung der Corioliskraft blitzschnell die ideale Flugkurve der Kugel, wieder andere scheinen noch kurz zu meditieren. Schließlich wird mit entschlossener Dynamik ausgeholt, und die Kugel begibt sich auf den Weg. Ist es ein Eisentreffer, sind die Tireur*innen mit sich und der Boulewelt zufrieden, denn das Motto beim Schießen heißt meistens “Aber bitte auf Eisen!“

Besonders interessant ist es für mich, wenn die Spieler*innen für die Vorbereitung des Wurfs offenbar eine eigene Choreografie erarbeitet haben. Bei einigen wirkt es fast wie eine Kür beim Kunstturnen oder Turmspringen, wenn sich der Körper windet, streckt, beugt und verbiegt, wenn beide Arme, scheinbar ineinander verknotet, so in den Bewegungsablauf einbezogen sind, dass ich immer gespannt bin, ob die Kugel mit der linken oder der rechten Hand geworfen wird.

Bemerkenswert sind die Physiker*innen unter den Tireur*innen, sie beherrschen das Prinzip der Impulserhaltung und erklären vor dem Schuss genau, was passieren wird: Die Schusskugel trifft z. B. zunächst eine gegnerische Kugel am linken Ohr, touchiert danach eine eigene Kugel so, dass diese dann durch weitere – natürlich präzise berechnete – Karambolagen die Situation zugunsten des Teams des physikalisch bewanderten Teammitglieds löst.
Das alles ist für mich total spannend, und ich fiebere beim Abwurf immer mit ihnen und freue mich, wenn der Schuss erfolgreich war. Manchmal jedoch haben die Physik und die Impulserhaltung eigene Pläne.

Dann gibt es noch die Spontis unter den Tireur*innen, sie brauchen keine Atemtherapie und kein Konzentrationstraining, und sie beschäftigen sich nicht mit Physik. Sie treten einfach mutig in den Kreis, registrieren, welche Kugel sie treffen wollen, und dann schießen sie ohne Vorgeplänkel, manchmal sogar lässig aus der Hüfte wie die Cowboys in einem alten Western.
Oft treffen sie die gegnerische Kugel, manchmal aber auch nicht – genau wie alle anderen Tireur*innen auch.
Ich mag die Sponti-Tireur*innen, weil sie oft unberechenbar sind und völlig unerwartete Spielverläufe bewirken. Darum unterstütze ich sie auch heimlich schon mal ein wenig, indem ich mich wegducke oder ein wenig aufplustere.

Was mir total gut gefällt, ist das unnachahmliche und unverwechselbare Geräusch, wenn eine Kugel mit einem Eisenschuss getroffen wird oder sogar ein Carreau-sur-place gelingt.
Wenn ich dieses Geräusch schon mal in einer Partie selten oder gar nicht höre, dann helfe auch gerne ein bisschen nach – wie ich das mache, ist allerdings strengstes “pöötie“-Geheimnis.

Beim nächsten Mal berichte ich Erstaunliches über die Gewohnheiten der Leger*innen.
Bis bald, à bientôt!
ChMa